Karnevalistin Anita Seidel vor der Kulisse für die kommende Kampagne. © Renate Hoyer
Bei Anita Seidel beginnt die Narrenzeit nicht erst im November.
Wenn in dieser Woche für viele Frankfurter:innen die närrische Zeit gerade erst beginnt, ist Anita Seidel schon längst auf vollen Touren mit den Vorbereitungen für die fünfte Jahreszeit beschäftigt. Seit bald neun Jahren leitet sie die Geschäftsstelle des großen Rats. Sie organisiert das Programm der Inthronisation des Prinzenpaars und der „Rosa Cloudchen Show“, kümmert sich um Künstlerverträge und den Kartenverkauf. Außerdem kann man die bald 60-Jährige als Moderatorin des Fastnachtsumzugs auf dem Römerbalkon sehen.
An diesem Novembermorgen liegen in der „Mehrzweckhalle“ neben ihrem Büro schon große Pappwände auf dem Tisch, die als Kulisse für die kommenden Veranstaltungen bemalt werden und detailgetreu die Nikolaikirche zeigen. Ein Teil ist schon fertig und auf der Bühne hochgezogen, eine übergroße Adlerfigur aus Pappmaché schaut von oben den konzentriert arbeitenden Malern zu. Am 22. und 23. Januar wird Seidel als „Muddi“ im knallpinken Kostüm bei ihrem Herzensprojekt, der „Rosa Cloudchen Show“, auf der Bühne stehen. Das Motto in diesem Jahr: „Eindeutig-Zweideutig-Gaynial“. Zusammen mit Travestiekünstler:innen und ausgewählten Tanzgruppen stellt sie ein Programm auf die Beine, das alle Menschen begeistern soll. Besonders wichtig sei ihr bei der Show, dem Publikum immer etwas Neues zu bieten, dafür holt sie Frankfurter Määdsche wie die bekannte Travestiekünstlerin Tante Gladice und Tanzgruppen aus ganz Deutschland und sogar die „Herrlichen Damen“ aus Wien auf die Bühne. „Meine Jungs“ nennt sie ihre Truppe. Die nennen sie liebevoll „Muddi“, weil sie immer den Durchblick hat und mit ihren zweiundzwanzig Jahren Vereinserfahrung immer weiß, was zu tun ist. „Manchmal ist das mit den Künstlern schlimmer, als einen Sack Flöhe zu hüten, bis die auf der Bühne sind“, sagt Seidel und lacht.
Das bunte Programm ziehe Leute von überall an, sie kämen aus Köln oder Hamburg oder sogar vom Tegernsee, um bei der Show dabei zu sein. „Bei uns ist es wichtig, dass jeder willkommen ist, dass jeder feiert, mit jedem, egal, welche Sexualität jemand hat. Lesben und Schwule, alle sollen sich bei uns wohlfühlen. Die sollen merken, wir sind bei euch, und das möchte ich auch nie anders haben. Ich stehe da voll dahinter und wie gesagt – ich liebe meine Jungs.“
Es sei wichtig, dass es so eine Veranstaltung gebe, die speziell diese Menschen anspreche. Bevor Seidel nach Frankfurt gekommen ist, ist das für sie eigentlich gar kein Thema gewesen. Die lesbische und schwule Szene habe sie eigentlich erst hier kennengelernt. „Ob jetzt Fastnachtsjemand lesbisch oder schwul ist, ist mir natürlich eigentlich ganz egal, aber ich habe gemerkt, wie manche auf der Straße angeschaut werden, und das hat mir wehgetan.“ Deswegen möchte sie sich mit der Show für mehr Toleranz einsetzen. Wenn sie als Organisatorin vor dem Publikum stehe, sei sie sie selbst, es befreie sie, wenn sie singe und in glückliche Gesichter sehe. Früher habe sie gerne auf der Bühne gestanden, denkt aber langsam auch an den Ruhestand. Ganz aufhören werde sie wohl nie, sagt sie, aber sie wolle, dass langsam junge Leute übernähmen.
Die Leidenschaft für Fastnacht begleitet Seidel schon seit ihrer Kindheit. Sie wurde in eine Fastnachtsfamilie hineingeboren, schon ihr Vater war Sitzungspräsident in Oberreifenberg. Mit Mitte zwanzig zog sie nach Eppertshausen und gründete dort einen Gardeverein. Auch heute noch ist ihre Familie faschingsbegeistert – ihr Mann ist auch Teil des Großen Rats, ihre Tochter ist Tanztrainerin und die Enkelin übt sich im Schautanz.
Seidel arbeitet neben ihrem Engagement für die Frankfurter Fastnacht in Vollzeit als Schulsekretärin bei einem Frankfurter Gymnasium. Ihre Kolleg:innen wüssten von ihrem „Nebenher-Vollzeitjob“ und seien verständnisvoll, wenn sie für wichtige Sitzungen mal einen Tag Urlaub nehmen müsse. Wie bleibt da der Kopf frei? „Gar nicht“, antwortet sie. Man sei auch nachts beschäftigt, weil man immer schauen müsse, ja nichts vergessen zu haben. Im Moment beschäftigt sie vorrangig die Gala am 26. November, die Auftaktveranstaltung in diesem Jahr. Um das zu schaffen, brauche sie Konzentration, und auch mal Zeit allein, um sich zu organisieren.
Richtig abschalten kann sie im Sommer, „den verbringe ich auf einem Campingplatz am See, da habe ich genug Zeit, mich zu entspannen. Wenn dann die Schranke am Eingang hinter mir zugeht, ist Urlaub.“
Seidels herzliche Art ist so ansteckend, dass man ganz vergisst, dass die letzten zwei Jahre auch für die Fastnachtsvereine keine leichte Zeit waren. „Viele Vereine haben sehr gelitten, es konnte ja nichts stattfinden. Wir haben dann trotzdem zwei Jahre geplant, aber mussten am Ende dann doch absagen, weil es einfach klar war, dass das nicht geht.“ Man sieht ihr die Freude darüber, dass sie es in dieser Saison durchziehen können, an.
Das Frankfurter Prinzenpaar soll bei der Inthronisation im Januar endlich wieder mit vollem Publikum gewürdigt werden. Für dieses Jahr wünsche sie sich eine schöne Fastnachtszeit, „dass die Vereine und wir volle Säle haben werden, dass die Leute rausgehen und feiern, dass wir einen schönen, friedlichen Umzug haben“. „Ich glaube, gerade in diesen Zeiten brauchen die Menschen das.“