Wagenmeister: Als Zugmarschall sorgt Mario Wollnik auch für die Sicherheit auf den Motivwagen
Bild: Rainer Wohlfahrt
Mario Wollnik ist Zugmarschall. Nach seinem Feierabend sorgt er dafür, dass der Frankfurter Fastnachtszug reibungslos läuft.
Manche Idee kommt ihm nachts.
Es ist kalt in der Halle. Der Duft von frischem Kaffee mischt sich mit dem Geruch von Farbe. In einer Ecke ist eine Küche eingerichtet, Platten mit belegten Brötchen stehen bereit und eine Schüssel mit Keksen. In der anderen Ecke steht ein Tisch, an ihm sitzt ein Karnevalist, vor ihm eine Rolle mit Prüfsiegeln. Wasserkocher, Kaffeemaschinen, Verstärkeranlagen – alles, was bei den Veranstaltungen des Großen Rats der Frankfurter Karnevalsvereine gebraucht wird, muss über seinen Tisch. „Der prüft sogar die Käsebrötchen“, frotzelt ein
anderer Fastnachter. In der Mitte der Halle steht der Motivwagen der städtischen Bäderbetriebe, einer von mehreren Sponsoren‐Motivwagen, die beim Fastnachtszug am nächsten Sonntag mitfährt. Eine große Welle ziert die Seite, Palmen stehen darauf, ein Wellnesstempel auf Rädern. Mario Wollnik schaut sich an, ob alles so aussieht, wie er es geplant hat. „Ich habe zwei Vollzeitjobs“, sagt der große, braungebrannte Mann in Arbeitsklamotten. Täglich acht Stunden arbeite er von Montag bis Freitag „beim Daimler“ in Stuttgart. Dort ist er Distribution Network Manager. Nach Feierabend beginnt die Arbeit als Zugmarschall für den Großen Rat der Karnevalsvereine Frankfurt. „Da bleiben schließlich noch acht Stunden pro Tag für Schlaf“, fügt er mit verschmitztem Lächeln hinzu. „Aber so viel Ruhe brauche ich gar nicht. “Gleichmäßig verteilt sind Wollniks Ferien allerdings nicht. So hat er seinen vierwöchigen Winterurlaub nicht im sonnigen Süden beim Golfen genossen. Den Schläger schwingt er nur im Sommer abends mit Freunden, In der vergangenen Wochen hat er seine Ferientage in Frankfurter Amtsstuben von Polizei, Feuerwehr und verschiedenen Behörden oder bei Fastnachtsvereinen und in Gesprächen mit Kollegen aus dem Großen Rat verbracht. Denn auch, wenn jedes Jahr 365 Tage hat und die Vorbereitungen für die nächste Kampagne immer schon am Aschermittwoch beginnen, sei die Zeit für die Fastnachter in diesem Jahr besonders knapp.
Im vergangenen Jahr hatte Wollnik zwei Wochen mehr Zeit für seine Planungen, und auch in diesem Jahr könnte er die gut gebrauchen. Denn: „Wir können erst, wenn der Weihnachtsmarkt vorbei ist, mit den Behörden alles klären.“ Zumal neben den üblichen Absperrungen der Zugstrecke inzwischen auch noch die erhöhten Sicherheitsanforderungen für Großveranstaltungen hinzukommen. Für den Zug durch Frankfurt mit seinen 200 Zugnummern aus Wagen und Gruppen und den rund 300 000 Zuschauern an der Strecke sind die Sicherheitsauflagen hoch. Da muss alles abgestimmt werden, vom Aufstellen der Absperrgitter über die Platzierung von Imbisswagen und Toilettenanlagen, Stationen für Sanitäter und die Sicherung der Straßen durch Müllfahrzeuge bis hin zum Aufbau der Ehrentribüne auf dem Römerberg. „Das zu koordinieren ist Aufgabe des Zugmarschalls“. Das ist aber noch nicht alles, vor allem ist Wollnik dafür zuständig, das der Zug überhaupt erst einmal aufgestellt wird, dass alle Wagen, die des Großen Rates und die der Vereine, fahrtüchtig sind und dass jede Musik‐ oder Tanztruppe ihren Platz findet. Im Bürocontainer auf dem Gelände, das der Große Rat sich mit dem Abenteuerspielplatz Riederwald und einer Drogenhilfeeinrichtung auf dem Areal des früheren Gaswerkes in Fechenheim teilt, stehen zwei Tische, deren Kunststoffoberfläche in Kästchen mit Zahlen unterteilt ist. Damit haben Wollniks Vorgänger die Züge geplant und Kärtchen mit Motivwagen und Gruppen verteilt. Heute macht er das am Computer. “So kann ich auch von Stuttgart aus den Frankfurter Zug planen.“ Schließlich gehört es auch zu seinem beruflichen Alltag, Dinge aus der Ferne zu managen, den Aufbau eines Netzes von Mercedes Autohäusern in Nordafrika zum Beispiel. Den schwäbischen Autohersteller hat Wollnik nicht nur seine berufliche Karriere zu verdanken, sondern auch sein Ehrenamt. Vor 26 Jahren habe er als Lehrling bei Mercedes in Frankfurt mit dem Sohn des damaligen Präsidenten des Großen Rates an der Werkbank gestanden. „Er hat mich eines Tages eingeladen, mitzukommen und beim Bau der Motivwagen zu helfen“. Wollnik kam mit und blieb. Das daraus mehr als gelegentliches Aushelfen wurde, hat wohl genetische Ursachen. Schon seine Eltern seien im Turnverein seiner Heimatgemeinde bei Bad Camberg aktiv gewesen. „Ich bin in einer Vereinswelt groß geworden.“ Seine Frau sei ebenfalls in der Fastnacht engagiert und beruflich als Apothekerin stark eingebunden, daher habe sie Verständnis für seinen Einsatz. Der umfasst nämlich noch mehr als die Organisation des Frankfurter Fastnachtszugs, Auch alle anderen öffentlichen Termine des Großen Rats, bei denen Bühnen gestaltet und aufgebaut oder Fahrten organisiert werden müssen, koordiniert Wollnik. Er ist aber nicht nur für die weitgehend unsichtbaren Dinge wie Organisation, Logistik, Technik, Sicherheit und Versicherungen beim Großen Rat zuständig, er ist der kreative Kopf in einem Ringbuch hat er die Zeichnungen gesammelt, die die Grundlage für die Motivwagen des Großen Rates sind. „Wenn mir zwischendurch etwas einfällt, schreibe ich es auf oder mache eine kleine Zeichnung“, erklärt er „Auf dem Nachttisch liegt immer ein Zettel und ein Stift, denn manche Idee kommt mitten in der Nacht.“ Was dabei herauskommt, wird am Tag überarbeitet und dann an den Künstler Sven Tadic übergeben, der die Zeichnungen in bis zu drei Meter hohe Figuren umsetzt. In einer der zügigen Hallen neben dem Bürocontainer steht in der Mitte ein riesiger Vogel mit feurigem Gefieder und den Kopf von Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD). So habe er das Thema Goetheturm und die Oberbürgermeisterwahl in einem Motiv untergebracht. Auch andere politische Themen nimmt er aufs Korn: Trump als Münchhausen, Kovac als Supermann und manches mehr – nur zum Stichwort
„Dieselpleite“ ist dem 44 Jahren alten leidenschaftlichen Autosammler offenbar nichts eingefallen.
von Paricia Andreae